Chapeau, Jens Härtel
Die besondere Leistung des 25. Spieltags
Ja, der Härtel hat es wieder hinbekommen. Ein Jahr hat er gebraucht. Doch jetzt ist sie wieder da, die fußballerische Stabilität aus dem bewährten Handwerk des Fußball-Lehrers Jens Härtel.
Vier Siege, ein Remis, nur eine Niederlage in den letzten sechs Spielen befördern Härtels Hanseaten aus Rostock auf den zweiten Tabellenplatz der Rückrundenbilanz in der 3. Liga und mit diesem Aufwärtstrend und der unübersehbaren Stabilität erstmals und zur rechten Zeit in den Kreis der Kandidaten für die Punktejagd um den Aufstieg in die 2. Bundesliga.
Diesen Konkurrenzkampf hat Jens Härtel schon einmal gewonnen: Im Frühsommer des Jahres 2018 mit dem 1.FC Magdeburg. Im dritten Anlauf glückte Härtel dort der Triumph. Bei Hansa könnte es schneller gehen. Würde er es im Mai schaffen, hätte er nur halb so lange gebraucht.
Im türkischen Wintercamp neu gesammelt
Was das neue Hansa-Team in diesem neuen Fußballjahr so belastbar, so zuverlässig und handlungsfähig macht, ist im Januar entwickelt worden. Im Vorbereitungscamp im türkischen Belek. Großartige Bedingungen genutzt, körperliche Defizite korrigiert, großartige Testspiele absolviert, entscheidende personelle Veränderungen erfolgreich vorgenommen, das Mittelfeld neu formiert und mit zwei inspirierenden Offensivkräften die Qualität des Kaders verbessert. Allen wurde klargemacht: Jens Härtel wollte diese Hinrunde mit dem ständigen Wechselspiel von Sieg und Niederlage nicht länger akzeptieren.
In Rostock bekommen die Spieler zu spüren, dass Ihnen eine geballte Ladung an Erfahrung aus dieser 3. Liga, die Jahr für Jahr einem Fußballmarathon gleicht, gegenübersteht. 157 Ligaspiele als Cheftrainer seit Sommer 2015 mit zwei vierten Rängen sowie einem Meistertitel mit dem Aufstieg in die 2. Bundesliga hat Jens Härtel auf diesem hammerharten Terrain des Fußballs erlebt.
Und die Zeit zuvor war ebenfalls pures Liga-drei-Erleben: Drei Spielzeiten als Co-Trainer von Dietmar Demuth beim SV Babelsberg und jedes Mal haben sie gemeinsam die Liga gehalten. „Ich habe niemanden in meiner langen Laufbahn kennengelernt, der so verlässlich, so detailbesessen und loyal ist wie Jens Härtel“, sagt Didi Demuth heute.
Auch der 1. FC Magdeburg war ein schwieriges Aktionsfeld und die Arbeit dort schien für Jens Härtel gar sehr schnell in einer Sackgasse zu enden. Als im Oktober 2014, also nur wenige Monate nach seinem Dienstantritt dort, vier Spiele hintereinander verloren gingen, war das Betriebsklima zwischen dem Trainer und den Verantwortlichen des Klubs derart angespannt, dass wohl nicht viel gefehlt hätte zu einer ähnlichen Gemütsbewegung, wie sie Klinsmann bei der Hertha kürzlich nicht mehr steuern konnte. Härtel freilich hielt sich im letzten Moment doch noch an seinen Grundsätzen, in der Besonnenheit und Geduld stets einen Platz haben. Und dies war gut so.
Gejubelt wird stets mit Bodenhaftung
Deshalb wäre Jens Härtel nicht Jens Härtel, wenn er auch jetzt in Rostock nicht sogleich ein wenig auf die Bremse treten würde. Dieses heute himmelhochjauchzend sein und morgen zu Tode betrübt, wie die Fangemeinden in den mitteldeutschen Fußball-Hochburgen Magdeburg und Rostock ihre Emotionen auszuleben pflegen, entspricht nun einmal immer noch nicht der Wesensart des Jens Härtel.
Wenn Härtel seine Begeisterung öffentlich macht – und immerhin tut er dies inzwischen -, dann trägt er sie nicht zur Schau. Als ihn sein runderneuertes Team im jüngsten Match gegen den SV Ingolstadt gar drei Treffer schenkte, ließ sich Härtel immerhin dazu hinreißen, seine rechte Faust mehrere Male in Bodenrichtung zu wuchten.
Ja, in Richtung des Bodens, als wolle er zeigen, dass ihm auch in diesen Sekunden der Freude die Bodenhaftung nicht abhandenkommt und dass er diese Beherrschung auch von seinen Spielern erwartet. Und am liebsten gar auch von den Fans auf den Rängen.
In zwei Spielen hintereinander hat ihn John Verhoek in diese für ihn neue Art de Freudenausbruchs getrieben. Zwei hineingewühlte Treffer zwar, doch zwei eminent wichtige. Härtel hatte Verhoek aus Überzeugung geholt im vorigen Sommer, doch nicht gewusst, dass der Niederländer körperlich nicht die Ausgangslage mitbrachte, um sein so wertvolles Spiel des ganzheitlichen Tatendrangs mit dazu notwendigen Kraft aufnehmen zu können. Erst jetzt, weil er in der Winterpause besonders effektiv aktiv war, finden sie in Rostock endlich Gefallen an John Verhoek.
Nils Butzen: Vertrauen hier, Vertrauen dort
Wem es gelingt, Härtels Vertrauen zu gewinnen, dem gibt er es auch gern retour. Zum Beispiel: Nils Butzen. Der war beim 1.FC Magdeburg sein Kapitän. Als Härtel im November 2018 in der 2. Bundesliga durch Oenning ersetzt wurde, hatte Butzen als Vertrauter Härtels einen schweren Stand dort.
Im vorigen Sommer nun holte Härtel Butzen nach Rostock. Und jetzt ist der wieder einer der wichtigsten Spieler im Konzept des Jens Härtel. Mit Bülow, Nartey, Omladic und Pepic sind gleich fünf feste Größen des Hansa-Spiels verletzt und somit nicht einsatzfähig. Der neue Kopf des Antriebsspiels heißt Nils Butzen. Beim 3:0 über die Schanzer erzielte er nach einer großartigen Kombination gar den Führungstreffer.
Als Hoffenheim-Austrickser auf Rangnicks Prüfstand
Im vertrauten Kreis gibt Jens Härtel auch zu, dass er sich im Verlauf der Spielzeiten voller wertvoller Erfahrungen verändert habe. Er sei gelassener geworden mit der Zeit. Klare Gedanken, positive Energien, souveränes Auftreten, natürliche Autorität seien ein Produkt des Reifens. Er habe diese Reife gebraucht.
Auch als Hoffenheim-Austrickser damals habe er sie noch lange nicht gehabt, gibt Härtel zu.
Wer das mit dem Hoffenheim-Austrickser nicht mehr parat hat, dem zur Erinnerung dies: Im DFB-Pokal-Wettbewerb gestaltete Härtel das Arbeitsprogramm seines blutjungen Regionalligateams des Berliner AK punktgenau so perfekt, dass die Millionenstars aus Hoffenheim mit 4:0 besiegt werden konnten.
Dass in Härtel Qualitäten eines Trainers mit Hochbegabtenstatus stecken könnten, glaubte man daraufhin sogar bei RB Leipzig. Denn Rangnick holte Härtel. Nicht für die erste Reihe, doch als Trainer der U19-Junioren.
Aus dem Munde des gelernten KfZ-Mechnikers wird niemand jemals hören, dass Härtel bei RB Leipzig und Rangnick ein Jahr lang auf dem Prüfstand stand. Dass sie dort herausfinden wollten, wozu Härtel fähig sein könnte. Härtel hat sich auch dort nicht um seine Karriere, sondern allein um Team gekümmert und ist aufgestiegen in die U19-Bundesliga. Als er dann gehen wollte, weil der 1.FC Magdeburg rief, haben ihn die Macher bei RB nicht aufgehalten. Hätten sie gewollt, hätten sie dies wohl tun können.
Inzwischen ist Jens Härtel 50 Jahre alt. Die Trainerwelt der Hochbegabten des Genres Nagelsmann hat er naturgemäß mittlerweile verlassen. Den Ruf des Aufstiegsspezialisten freilich, den könnte er nun in Rostock durchaus weiter ausbauen…
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